Manfred Genditzki sitzt mit hoher Wahrscheinlichkeit seit über zehn Jahren
unschuldig im Gefängnis.
Der damals 49-jährige Familienvater soll am 28. Oktober 2008 in Rottach-Egern die 87-jährige
Lieselotte Kortüm, die er regelmäßig mit Besorgungen, Arztfahrten und anderen Hilfeleistungen
unterstützt hat, bewusstlos geschlagen und in ihrer Badewanne ertränkt haben.
Der ihm angelastete Mord, den er immer bestritten hat, war nach heutigem Kenntnisstand aber ein
Unfall, wie er in Haushalten älterer Menschen immer wieder passieren kann.
Manfred Genditzki, hier beim Prozess beim Landgericht München II im Jahr 2012, war Hausmeister und sorgte für Lieselotte Kortüm. (Foto: mit freundlicher Genehmigung von Julian Baumann).
Manfred Genditzki wird in Mecklenburg-Vorpommern geboren
Geburt der Tochter aus 1. Ehe
arbeitet Manfred Genditzki hauptberuflich (vorher nebenberuflich) als Hausmeister in einer Wohnanlage in Rottach-Egern am Tegernsee, in der auch die Eheleute Kortüm wohnen; Herr Genditzki kümmert sich um die beiden.
Geburt des Sohnes aus 2. Ehe
Nach dem Tod von Herrn Kortüm kümmert sich Manfred Genditzki verstärkt um Lieselotte Kortüm
Todestag von Frau Kortüm. Herr Genditzki hatte sie Mittags aus dem Krankenhaus abgeholt. Gegen 18:30 Uhr wird Frau Kortüm von einer Mitarbeiterin des Pflegedienstes leblos in der Badewanne gefunden
Die Leiche wird obduziert. Der Rechtsmediziner Prof. Keil stellt Tod durch Ertrinken fest, mutmaßlich durch einen Sturz in die Badewanne und notiert: „keine zwingenden Anhaltspunkte für die Mitwirkung fremder Hand in Bezug auf das Hineinkommen ins Wasser“. Tags darauf wird die Leiche eingeäschert.
Der Rechtsmediziner Prof. Keil kommt nach einer „Tatortbesichtigung“, zu der er von der Polizei eingeladen worden war, nunmehr zu dem Ergebnis, dass ein Sturz in die Badewanne die Kopfschwartenhämatome und die Endlage der Leiche nicht erklären könne.
Der zuständige Staatsanwalt bejaht einen Anfangsverdacht. Genditzki ist nun offiziell Beschuldigter.
Manfred Genditzki wird verhaftet.
Geburt der Tochter aus 2. Ehe
Manfred Genditzki wird angeklagt: er habe Geld von Frau Kortüm unterschlagen und sie dann ermordet.
Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht München II beginnt.
Da Manfred Genditzki den Vorwurf der Unterschlagung vollständig entkräften konnte, kommt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer mit einer neuen Version: Manfred Genditzki habe die alten Dame nach einem Streit niedergeschlagen und anschliessend ertränkt.
Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und verweist die Sache zurück an das Landgericht München II.
Manfred Genditzki wird erneut vom Landgericht München II zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der Bundesgerichtshof lehnt die auf ca. 200 Seiten begründete Revision mit 3 Sätzen als „offensichtlich unbegründet“ ab.
Pressekonferenz zu Manfred Genditzki durch Bayerische Landtags SPD
Der Antrag auf Zulassung der Wiederaufnahme wird eingereicht.
Der Antrag auf Zulassung der Wiederaufnahme ist vom Landgericht München I (LGM I) abgelehnt worden.
Frau Rechtsanwältin Regina Rick legte hiergegen sofortige Beschwerde beim Oberlandgericht München (OLG M) ein, die mit Datum vom 01.04.2021 begründet wurde.
Die Begründung war deshalb so zeitextensiv, weil vier Sachverständige ihre ergänzenden Stellungnahmen hierfür noch einmal abgegeben haben.
Die sechs Kernpunkte der Begründung finden Sie als PDF „01-04-19_Beschwerde_Begruendung_6_Argumente.pdf“ vor.
Das OLG hat bis zum 06.06.2021 nicht entschieden.
Beschluss des OLG München zur Beschwerde von RA Regina Rick auf den abweisenden Beschluss des LGM I vom 01.12.2020:
der Beschwerde wird stattgegeben.
Der Antrag des Verurteilten Manfred Benno Genditzki auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens wird für zulässig erklärt.
Das OLG München verweist an das LGM I zur weiteren Überprüfung der Zulässigkeit der neuen Beweismittel und ordnet deren detaillierte Begutachtung an.
Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Gebühr wird jedoch um zwei Drittel ermäßigt, die vom Staat getragen wird.
Nach langer Wartezeit startete am 02. Mai 2022 die auf fünf Verhandlungstage bis Ende Mai 2022 angesetzte „Probation“, eine Art Voruntersuchung des LGM I zu dem Antrag der Verfahrenswiederaufnahme von RA Regina Rick vom 11. Juni 2019 (!).
Das Landgericht München I (LGM I) ordnet in seiner Probationsentscheidung (5 Verhandlungstage im Mai 2022 zu den Beweisgründen seiner Unschuld mit den Sachverständigen beider Seiten) eine erneute Hauptverhandlung an. Diese ist dann nunmehr die dritte Hauptverhandlung, bei der es nochmals eine umfängliche Beweisaufnahme geben wird, die aber in inhaltlichen Teilen mit der Beweisaufnahme des Probationsverfahren identisch sein wird.
Die wesentliche Begründung des LGM I ist, das gegenüber Manfred Genditzki kein dringender Tatverdacht mehr besteht, er somit am Freitag dem 12. August 2022 12.00 aus der Haftanstalt Landsberg am Lech entlassen und ein 3. Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet wird.
Das 3. Gerichtsverfahren gegen Manfred Genditzki wird für das 2. Quartal 2023 erwartet.
auf Basis von Journalistenfragen, transkribiert im Büro RR.
Hier finden Sie eine Zusammenfassung des Falls aus dem Antrag auf Zulassung. Eine ausführlichere Version ist hier verfügbar.
Zum Thema „Wiederaufnahmeverfahren“ forscht Prof. Dr. Carsten Momsen & Team von der Freien Universität Berlin,
Fachbereich Rechtswissenschaft, zu Fehlurteilen und dem Versuch der Verfahrenswiederaufnahme.
Ein Projekt aus Wissenschaft und Praxis zur Beseitigung, Vermeidung und Erforschung von Fehlurteilen.
www.wiederaufnahme.com
Der Bayrische Rundfunk schreibt über den Fall, die fehlerhafte Indizienkette, sowie die Anwältin Regina Rick, die den Fall ehrenamtlich übernommen hat.
Zum Artikel →„In den Fängen der Justiz – Unschuldig in Haft“ - VOX-Reportage vom 14-11-2015
„Deutsche Justiz - Wie gefährdet ist unser Recht?“ - BR vom 22.02.2017
SPIEGEL TV – „Unschuldig im Gefängnis? Der "Badewannen-Mord" von Rottach“ – 12-02-2018
Zur Spiegel-Dokumentation bei YouTube →„Manfred Genditzki zu Unrecht verurteilt?“ – BR in KONTROVERS vom 27.05.2020
„Im Zweifel – Verbrechen und ihre Hintergründe“ – Laura Wohlers & Paulina Krasa vom 8.08.2020
Zum Beitrag →„Unschuldig hinter Gittern“ – Gloria Stenzel in der Sendereihe „Funkstreifzug“ vom 19.08.2020
„Lebenslange Haft, aber unschuldig?“
- Podcast-Beitrag von Gisela Friedrichsen und Amina Aziz.
Die Süddeutsche Zeitung hat mehrere Leserbriefe zum Prozess und zur Verurteilung von Manfred Genditzki veröffentlicht. Die Reaktionen reichen von Entsetzen bis Enttäuschung.
Zu den Leserbriefen →Manfred und ich wurden beide 1960 in Kalübbe (nördlich Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern, M-V) geboren. Wir waren Nachbarskinder und spielten schon im Kindergarten zusammen. 1967 wurden wir gemeinsam in Breesen (M-V) eingeschult und waren bis zur 10. Klasse (1977) in derselben Schule. Wir haben zusammen gelernt und auch in der Freizeit viel Zeit miteinander verbracht.
Manfred war immer ein freundlicher, netter und hilfsbereiter Schüler und Freund. Kein Draufgänger, sondern eher zurückhaltend. Während der Lehrzeit und später durch seinen Wegzug haben wir uns etwas aus den Augen verloren. Zum Klassentreffen 2007 hat er den weiten Weg von Bayern nach Röckwitz (M-V) auf sich genommen, um uns Alle wieder zusehen. Er erzählte voller Stolz von seiner kleinen Familie und von der Tätigkeit als Hausmeister. Er war glücklich und zufrieden mit seinem Leben.
Dann erfuhr ich durch die Medien von seiner Inhaftierung und Verurteilung. Ich war fassungslos. Manfred ist zu so einer Tat nicht fähig.
Durch seine Schwester erhielt ich dann seine Adresse und wir haben noch heute schriftlichen Kontakt. Ich bin überzeugt davon, dass er unschuldig ist.
Erika Thomas, Dezember 2021
„Manfred ist für uns immer ein verlässlicher und liebenswürdiger Partner gewesen. Er hat für unsere Firma viele, wichtige Arbeiten übernommen. Seine Zuverlässigkeit gerade beim Schneeräumen im Winter war unübertroffen. Er fuhr für uns sogar des Öfteren nach Italien, um dort bei unserer Werbeagentur Mode für Fotoshootings abzuliefern. Er ist für mich persönlich ein sehr humorvoller Mensch, mit dem ich gerne über Gott und die Welt gesprochen habe und den ich vor allem in handwerklichen Dingen immer um Rat fragen konnte. Ich wünsche ihm, dass er diesen Humor nicht verloren hat und dass wir bald auf seine Freilassung und seine Unschuld gemeinsam anstoßen können.“
Philipp Bächstädt
TV-Journalist und Moderator
Ehemaliger Geschäftsführer nickis.com / Rottach-Egern, Januar 2022